Dienstag, 21. März 2023
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Lesen und Sprechen folgen einem ähnlichen Takt

Beim Lesen bewegt sich der Blick in einem bestimmten Muster über den Text. Dieses Muster ähnelt in überraschendem maß der Rhythmik gesprochener Sprache, wie ein Team von Wissenschaftlern unter maßgeblicher Beteiligung der Goethe-Universität herausgefunden hat. Die Ergebnisse ihrer Forschung erscheinen in der Fachzeitschrift „Nature Human Behavior“.

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Wenn wir lesen, lassen wir unseren Blick über einen Text wandern. Die Bewegungen der Augen folgen dabei einer charakteristischen zeitlichen Rhythmik. Ein internationales Team von Forschern mit starker Beteiligung der Goethe-Universität hat in Blickbewegungsexperimenten und einer Metastudie mit 14 verschiedenen Sprachen herausgefunden, dass diese zeitliche Struktur des Lesens nahezu identisch ist mit der dominanten Rhythmik der gesprochenen Sprache. Daraus lasse sich schließen, dass sich die Verarbeitung von geschriebener und gesprochener Sprache in einem größeren Maße ähneln als bisher angenommen.

Das Sprechen beeinflusst auch das Lesen

Sprachen und Schriftsysteme sind zentrale Elemente menschlicher Kommunikation. Schriftsysteme ermöglichen uns seit Jahrtausenden, Information nicht nur von Angesicht zu Angesicht zu teilen, sondern sie auch materiell zu speichern und dauerhaft verfügbar zu machen. „Das Lesen ist eine der faszinierendsten kulturellen Errungenschaften des Menschen“, sagt Erstautor Dr. Benjamin Gagl, bis vor kurzem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Goethe-Universität. „Die gesprochene Sprache beeinflusst auch das Lesen. Bis jetzt ist aber wenig über die gemeinsamen zugrundeliegenden Mechanismen von Lesen und gesprochener Sprache bekannt“, erklärt Gagl, der von Haus aus Psychologe ist.

Diese Mechanismen hat Gagl gemeinsam mit einem internationalen Team unter Leitung von Prof. Christian Fiebach untersucht, indem er die zeitlichen Strukturen des Lesens mit denen der gesprochenen Sprache verglich. Dabei zeigte sich, dass die rhythmischen Abläufe der Augenbewegungen beim Lesen und die dominante Rhythmik im Sprachsignal nahezu identisch sind. Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Schnittstelle zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. 

Die zeitliche Kopplung der Lese- und Sprachprozesse

Für ihre Studie übertrug das Team Methoden der Frequenzanalyse, die in der Untersuchung des lautlichen Sprachsignals schon breite Verwendung finden, auf die Untersuchung von Augenbewegungen. Diese Vorgehensweise wurde in zwei Studien an der Goethe-Universität Frankfurt und einer Studie an der Universität Salzburg angewandt. Neben einer vergleichbaren Rhythmik von Lesen und Sprechen zeigte sich bei weniger leseerfahrenen Personen eine direkte zeitliche Kopplung der Lese- und Sprachprozesse. Geübtere Leser hingegen lasen schneller und konnten zwischen zwei Augenbewegungen mehr Information aus dem Text entnehmen. Zusätzlich erfassten die Autoren in einer Metastudie alle in Fachzeitschriften erschienenen Blickbewegungsstudien des Lesens aus den Jahren 2006 bis 2016 und schätzten für diese die zeitliche Rhythmik des Lesens für 14 Sprachen und mehrere Schriftsysteme. Dabei zeigte sich, dass der Leserhythmus bei zeichenbasierten Schriftsystemen (wie etwa im Chinesischen) langsamer ist, was mit den höheren Anforderungen an die visuelle Analyse der komplexeren Schriftzeichen erklärt werden kann.

Der zeitliche Rhythmus bei der Kommunikation der Augen an das Gehirn

„Die Ergebnisse zeigen Zusammenhänge zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf eine neuartige und bisher noch nicht bekannte Art und Weise“, so Christian Fiebach. „Die Sprachverarbeitungssysteme des menschlichen Gehirns haben sich im Verlauf der Evolution auf die zeitlichen Abläufe der gesprochenen Sprache spezialisiert. Wir gehen aufgrund der aktuellen Ergebnisse davon aus, dass diese Sprachsysteme beim Lesen als eine Art ‚Taktgeber‘ für die Augen dienen, damit diese die gelesenen Informationen in einem optimalen zeitlichen Rhythmus an das Gehirn senden und so die weitere Analyse erleichtern. Diese Hypothese kann nun mit dem hier vorgestellten methodischen Ansatz vertieft untersucht werden.“

Die Ergebnisse der Forschungen erscheinen in der Fachzeitschrift „Nature Human Behavior“. Weitere beteiligte Forschungseinrichtungen waren die Universität Wien, das Ernst Strüngmann Institut Frankfurt, die New York University, das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik Frankfurt und die Universität Salzburg.

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